Dieser Artikel erschien als Cover-Artikel in der 99. Ausgabe (09/2017) der Fachzeitschrift "LO - Lernende Organisation. Zeitschrift für Relationales Management und Organisation". Herausgegeben von Dr. Sonja Radatz, IRBW Institut für Relationale Beratung und Weiterbildung Wien. Hier zum Download: LINK
Aufgabe: Denken Sie Ihr Unternehmen (Ihre Abteilung, Ihren Bereich, Ihre Organisation) als Theaterbühne und stellen Sie sich folgende Fragen. Welche Bühne sind Sie heute und welche wollen Sie sein? Sind Sie ein Ronacher? Sind Sie ein Volkstheater? Oder ein Burgtheater? Welche Stücke spielen Sie? Wer ist Ihr Programmdirektor, wer Ihr Hauptdarsteller und welche Leute kommen eigentlich in Ihr Haus? Sind Ihre Gäste nach Vorstellungen begeistert und kommen Sie wieder? Wie auch immer Sie diese Fragen für Ihre Organisation beantworten, die allerwichtigste folgt zum Schluss: Wie weit ist Ihr aktuelles Bild mit dem Ihrer Mitarbeiter und dem Ihrer Kunden deckungsgleich? Im Kern dreht sich in diesem Spiel alles um die Wirkung Ihrer Organisation sowohl nach innen, als auch nach außen.
Als mich Frau Dr. Radatz fragte, ob ich einen Beitrag für diese Ausgabe der LO zum Thema „Wir rocken die Crowd!” schreiben wolle, bejahte ich schnell, weil mir dazu sofort dieses „Theater-Gleichnis” in den Sinn kam. Dabei handelt es sich um eine sinnvolle Gedankenübung, die auch Sie vielleicht in einem Radatz-Seminar schon einmal gemacht haben. Ich fand die Aufgabe gut, war aber mit dem Bild nicht sonderlich zufrieden. Sie finden mich nämlich selten im Theater. Wenn Sie mich abends treffen wollen, müssen Sie auf Konzerte oder in Musikclubs gehen. In meinem Kopf ist der Vertrieb nämlich eine Rockband in der Wiener Arena oder im Linzer Posthof, kein Theaterensemble im Salzburger Festspielhaus oder am Raimund Theater.
Stellen Sie sich eine Band vor bestehend aus einer leidenschaftlichen Jazz Sängerin als Bandleaderin, einem eingefleischten Heavy Metal Fan, der Schlagzeug spielen soll, das aber noch nie gemacht hat, dazu noch ein unmotivierter Hip Hop DJ und ein Klarinettist, der eigentlich lieber bei den Philharmonikern spielen würde. Alle wurden von einem Manager eines Popmusik-Labels eher zufällig gecastet und sollen ein Album produzieren. Eine solche Konstellation wird eher nichts Verkaufbares produzieren. Ich sehe diese Gruppe auch nicht vor einer feiernden Menschenmenge spielen. In diesem Beispiel sind die unterschiedlichen Backgrounds und teils fehlende Erfahrung einzelner Mitglieder sicher nicht das Problem. In jedem guten Team gibt es eine Reihe verschiedener Kompetenzen und Erfahrungen. Aber ohne Commitment zur Sache, ohne erkennbaren Willen zur Entwicklung persönlicher Skills und ohne intrinsische Motivation zur Weiterentwicklung entstehen selten gute Ergebnisse. Fänden wir diese in unserer Band, könnte sie einen neuen, vielleicht richtungsweisenden Sound kreieren, der seine Fans finden wird. Eine funktionierende Gruppe würde an einem Strang ziehen und hätte ein Programm, das alle gut können, regelmäßig üben und weiterentwickeln. All das in einem Genre, das nicht nur der Manager, sondern alle Bandmitglieder gut fänden. Mir geht es um Mindsets, die gute Leader mitbringen und nach denen sie auch beim Recruiting gezielt suchen.
In vielen Vertriebs- und Marketingabteilungen erlebe ich antiquierte Ansichten und die Resistenz gegenüber Weiterentwicklung (persönlich sowie organisatorisch) ist erstaunlich. Manche Mitarbeiter (und selbst Abteilungsleiter) sind nicht einmal motiviert, sich mit der Materie des Vertriebs und des Marketings intensiv auseinanderzusetzen. Wenn dann mal der Hut brennt und die Umsätze nachlassen, betreiben solche Abteilungen entweder bloße Kosmetik, ändern Strategien in Kurzschlussreaktionen oder folgen vorgekauten Konzepten anderer, die irgendwo vielleicht einmal zum Erfolg geführt haben. Andernorts bleiben Leute lethargisch und es passiert einfach gar nichts. Wenn Sie mit Ihrem Team aber die „Crowd rocken”, also Ihre bestehenden und neue Kunden nachhaltig für Ihr Unternehmen begeistern wollen, möchte ich Ihnen einige Grundhaltungen und Maxime für Sie und Ihre Organisation ans Herz legen. Ich lade Sie zu einem Gedankenexperiment ein: Fragen Sie sich, ob ein System, das auf den folgenden Leitsätzen aufgebaut wäre heute geeignetere Leute für Ihren Vertrieb anzieht und besser darin wäre, Ihre „Crowd zu rocken”.
Erobern Sie keine Märkte, sondern überzeugen Sie Menschen
Viel zu oft wird allzu leichtfertig im Namen des Marktes argumentiert. Sie arbeiten nicht mit Märkten, sondern immer mit Menschen. Im nachhaltigen Vertrieb möchten Sie Kunden (also Menschen) finden, die Sie von Ihren Leistungen und Produkten überzeugen dürfen. Das Bild der Crowd finde ich in dem Zusammenhang sehr passend: Dave Gahan (Frontman von Depeche Mode) performt im Studio oder auf der Bühne sicher nicht für seinen Markt, sondern für seine Fans. Die Crowd kauft umgekehrt seine Alben und Konzerttickets, weil sie vom Produkt überzeugt ist und weil es emotional anspricht.
Kennen Sie auch diesen unqualifizierten Unsinn „im Namen des Marktes”? Es gibt Menschen, die berichten von Inhalten der zuletzt geführten Kundengespräche und meinen dann, sie hätten nun „Rückmeldung vom Markt“. Was für ein Quatsch. Denken Sie an der Stelle an Ihre größten Umsatzbringer. Sie oder Ihre Key Account Manager kennen wahrscheinlich (oder hoffentlich!) die wichtigsten Entscheider persönlich. Diese Leute zu Ihren Fans zu machen, ist Ihre Aufgabe und die Ihrer Mitarbeiter. So einfach ist das. Dahinter steckt kein mathematisches Modell. Wenn Ihnen Ihr Kunde sagt, was ihm oder ihr an Ihrer Dienstleistung nicht gefällt, dann kommuniziert nicht der Markt mit Ihnen, sondern Ihr Geschäftspartner. Außerdem: was Kundin A nicht braucht, kann für Kunde B grade zur rechten Zeit kommen.
Wir interagieren mit Kunden, und das tun wir auf Märkten. Märkte sind ein gedankliches Konstrukt, das wir uns geschaffen haben, um wirtschaftliche Vorgänge in ihrer Gesamtheit und Komplexität besser verstehen zu können. Die Summe aller Ihrer Absätze, Ihr Produktmix und Vergleichsdaten Ihrer Mitbewerber können Aufschluss darüber geben, in welchen Marktsegmenten Sie unter Umständen mehr Umsatz oder Rendite erwarten können. Sie können aus aggregierten Marktdaten auch Trends erkennen, die Hinweise auf sinnvolle Produktentwicklungen geben. Deshalb müssen Sie trotzdem auf neue Kunden, also auf Menschen, zugehen und nachhaltige, auf gegenseitigem Vertrauen basierende Geschäftskontakte knüpfen. Ob nun Depeche Mode oder Ihr Unternehmen – Verkauf ist nur in den seltensten Fällen ein völlig anonymer Akt. Ihre Kunden sind Menschen und sie spüren, wie mit ihnen umgegangen wird.
Suchen Sie sich die Crowd, die zu Ihnen passt
Manchmal wollen die Türen zu einem bestimmten Unternehmen einfach nicht aufgehen? Ich wette aber, es gibt viele andere Unternehmen, bei denen es leichter geht. Gerade im Neukundengeschäft ist es wichtig, nach Partnern Ausschau zu halten, die „mit Ihnen können und wollen“. Es soll Unternehmen (oder Vorgesetzte) geben, die ihren Vertriebsmitarbeitern nicht nur quantitative Ziele wie Umsatz, Ergebnis, etc. vorgeben, sondern tatsächlich dezidiert namentlich genannte Unternehmen als Akquisitionsziel definieren. Bei dem Gedanken stehen mir aus zwei Gründen die Haare zu Berge. Erstens gibt es nicht immer für jeden Typ Mensch einen passenden Gegenpart beim potenziellen Partnerunternehmen. Was, wenn Ihre Mitarbeiterin beispielsweise einfach nicht mit den relevanten Ansprechpartnern im Zielunternehmen warm wird? Zweitens kann es immer sein, dass das Zielunternehmen einfach keinen Bedarf an Ihren Produkten hat. Eine hartnäckige Mitarbeiterin wird sich die Zähne ausbeißen, ein anderer Mitarbeiter gibt vorher auf. So oder so, zum Schluss ist Ihr Team entweder um eine Person kleiner oder Sie haben viel Zeit in eine sinnlose Akquise-Aufgabe investiert. Denken Sie an die alternativen Möglichkeiten, die Ihre Mitarbeiterin in der gleichen Zeit hätte erarbeiten können.
Waren Sie schon einmal auf ein Konzert und wurden dort überrascht, wie viele Leute sich noch genau die Band anhören wollten, von der Sie dachten, sie wäre eigentlich ein Geheimtipp? Ich versichere Ihnen, auch Bands sind manchmal erstaunt, wie groß ihre Crowd bei so manchem Auftritt eigentlich ist. Nicht selten werden viel mehr Karten verkauft als gedacht und Auftritte in größere Locations verlegt. Auch Ihnen kann es so gehen. Prinzipiell sollten Sie daher versuchen, mit jedem potenziell interessanten Unternehmen Kontakt aufzunehmen. Der Trick dabei ist aber möglichst bald herauszufinden, ob sich nach mehreren Kontaktversuchen noch weitere Aktivitäten bei einem bestimmten Unternehmen lohnen oder nicht. Sie wissen nämlich vorher nie, ob es, erstens, auf der anderen Seite jemanden gibt, der Ihnen zuhören wird und, zweitens, ob überhaupt Bedarf an Ihren Produkten oder Leistungen besteht. Internetseiten und öffentliche Geschäftsberichte verraten Ihnen solche Dinge nicht. Die Herausforderung für Führungskräfte ist es, den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Freiheit zu geben, bei solchen Entscheidungen ein Mitspracherecht zu haben oder sie sogar selbst zu treffen.
Seien Sie sich bewusst: Sie liegen die meiste Zeit falsch
Wie wenig ich eigentlich weiß und wie wenig meine eigenen Überzeugungen der Realität entsprachen, konnte ich in der Vergangenheit immer wieder in der Telefonakquise erfahren. Ich war mir lange Zeit sicher, die Mehrheit aller Angerufenen hätte mich und meine Ideen abgelehnt. Erst das konsequente Protokollieren aller Anrufe ließ mich Folgendes erkennen: Von zehn Cold Calls laufen im Schnitt fünf sehr positiv, drei neutral und zwei eher negativ (wobei mich niemand jemals persönlich beleidigte). Lange Zeit lag ich mit meinen Überzeugungen einfach falsch.
Manche Menschen sind sich ihrer Sache so sicher, dass es ein regelrechter Kampf ist, mit ihnen ein vernünftiges Gespräch zu führen, geschweige denn mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das betrifft Mitarbeiter, Führungskräfte und Kunden gleichermaßen. Mitunter übertragen sich solche „Wir wissen es besser”-Tendenzen sogar auf die Abteilungsebene, ja sogar ganze Unternehmen ticken so. Die Welt ist aber ein viel zu dynamischer und zu komplexer Ort, als dass Sie sich irgendeiner Sache dauerhaft sicher sein könnten. Es gibt auch keinen einzigen „richtigen” Weg Kunden für die eigene Sache zu begeistern, es gibt unendlich viele Wege.
Wenn Ihre Angebote immer seltener treffen, sich die Beschwerden hinsichtlich der Betreuungsqualität häufen, Ihnen selbst die ehemals treuesten Kunden abhanden kommen und Ihre Akquise schon eine Weile keine neuen mehr gebracht hat, dann kann das ein Symptom sein, dass Sie mit Ihrer Auffassung, wie Vertrieb und Kundenbetreuung bei Ihnen funktionieren sollten, inzwischen einfach falsch liegen.
Sie betreiben seit Jahren eine Vertriebsniederlassung im Ausland, konnten aber noch immer keinen Kunden an Land ziehen? Dann liegen Sie mit Ihrer Strategie oder Ihrem Produkt wahrscheinlich falsch. Alternative Erklärung: Sie haben Produkte, die keiner braucht. Das heißt, Sie haben konsequent in die falsche Richtung entwickelt, ohne auf Ihre (potenziellen) Kunden zu hören. Ergo: Sie lagen falsch.
Warum ist das so? Erstens neigt unser Gehirn dazu, negative Erfahrungen, also „Schmerzen”, präsenter abzuspeichern als positive. Dazu kommt, dass eigene Einstellungen, Werte, Weltbilder und Traditionen infrage zu stellen anstrengend und mitunter schmerzhaft ist. Wir vermeiden diese „Schmerzen” lieber, als sie anzunehmen oder sie gar bewusst zu suchen. Daher halten Viele lieber an bestehenden Bildern und Überzeugungen fest, als Neues zu versuchen - selbst wenn es die Situation schon lange erfordern würde. Ich höre jeden Tag Vermutungen, was sich Kunden wohl denken und wie sie reagieren würden, weshalb diese oder jene Aktion die gescheite wäre und die andere nicht. Seien Sie skeptisch bei Aussagen wie: „Ich kann doch nicht einfach beim Kunden anrufen und danach fragen” oder „Der Kundin wird diese Änderung sicher nicht gefallen” oder „dieses Unternehmen wird unser Produkt sicher nicht brauchen!”. Niemand in Ihrem Unternehmen kann die dahinter liegenden Fragen mit Sicherheit beantworten. Bevor Sie Ihren Kunden oder Ihre Kundin nicht offen gefragt haben, wissen Sie nichts. Gehen Sie raus und reden Sie, akquirieren Sie, fragen Sie, probieren Sie und setzen Sie um. Spielen Sie Ihre neuen Songs und finden Sie heraus, ob es dafür eine Crowd gibt. Vermutungen und Vermeidungsstrategien sind Kaffeesudlesen und Ausdruck innerer Ängste.
Denken Sie darüber nach, ob Sie noch sinnvolle Dinge tun
Nehmen wir an, Sie verkaufen Programmierdienstleistungen und Ihnen ist Ihr einziger Top-Programmierer für Java-Applikationen abhanden gekommen. Sie werden hoffentlich versuchen, diesen Mann möglichst schnell adäquat nachzubesetzen, um Ihr Portfolio aufrecht zu erhalten. Nicht selten passiert aber einfach nichts. Der Geschäftsführung waren die Personalkosten in der Softwareentwicklung ohnehin schon zu hoch und der Vertrieb pusht munter weiter Java-Applets, als ob alles beim Alten wäre. Dabei könnten die C Sharp Experten großartige Software für andere Kunden schreiben. Dieses Beispiel ist Ihnen zu profan?
Was ist mit dem Produkt, das Sie seit 25 Jahren fertigen? Dieser High-Runner von 1992, den Ihnen heute nur mehr ein Kunde abkauft; mit einem Deckungsbeitrag, dass Ihre Controllerin bei jeder Bestellung mit den Zähnen knirscht und der Produktionsleiter (zurecht!) mault, weil ihm Personal für wichtigere und sinnvollere Aufträge fehlt. Gibt es wirklich keine andere Lösung für diesen einen Kunden?
Kennen Sie das Kunden-Datenstammblatt, das die Dame im dritten Stock seit 20 Jahren gewissenhaft pflegt, obwohl die Sales und Key Account Manager seit Jahren ein Online CRM-Tool verwenden? Geben Sie noch die 300.000€ für Printwerbung aus, „weil Ihr Marketing eben so funktioniert”, oder ist Ihnen gar nicht bewusst, dass Ihre Wettbewerber den gesamten digitalen Raum in Ihrer Branche schon besetzt haben? Sehen Sie auch die vielen Papierordner hinter, unter und neben den Schreibtischen, die Mitarbeiter mit Email-Ausdrucken füllen, obwohl Sie schon seit 10 Jahren moderne Datensicherung betreiben? Was ist mit dem alten Infofolder, mit dem der Vertrieb noch immer hinausgeschickt wird, obwohl das Produkt schon mehrfach weiterentwickelt wurde?
Aktivitäten, die einmal notwendig waren, werden obsolet oder durch automatisierte Prozesse ersetzt. Strategien, die einst gut funktioniert haben, können sehr schnell wertlos werden. Das sind natürliche Prozesse, getrieben durch technologische, gesellschaftliche, politische, etc. Veränderungen. Notwendige Veränderungen zu erkennen hat einerseits sehr viel mit der Eigenverantwortung der Menschen zu tun, die mit uns und für uns arbeiten. Andererseits müssen sich auch Führungskräfte (vor allem auch Gesellschafter und Geschäftsführer als interne Projektsponsoren) immer wieder selbst an die Kandare nehmen, solche Unsinnigkeiten abzustellen. Hören Sie insbesondere auch jüngeren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gut zu, die Sie als talentiert und geschickt wahrnehmen. Anstatt sich darüber zu wundern, dass Pläne und Strategien schon lange nicht mehr aufgehen, wäre es vielleicht klüger, sie weiterzuentwickeln (Sie erinnern sich: Sie liegen meistens falsch). Und eines ist gewiss: Niemand ist davor gefeit, selbst irgendwann Dinge zu verschlafen, zu übersehen oder Opfer der eigenen Überheblichkeit zu werden (besonders, wenn Sie selbst einmal das Produkt, das System, die interne Regelung, etc. entwickelt hatten). Hinter jedem unnützen Vertriebs- und Marketingprozess versteckt sich wertvolle Zeit, die Sie besser Ihren Kunden widmen sollten.
Lassen Sie Freiräume und Rückschläge zu
Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Key Note Speech von Frederick Pferdt, Chief Innovation Evangelist bei Google, der sinngemäß folgendes vortrug: Es gibt jeden Tag Tausende von Ideen, die revolutionäres Potenzial hätten. Warum nutzen wir sie nicht? Das Problem ist, dass es keinen einzigen sicheren Weg gibt, die guten von den schlechten Ideen schon im Vorfeld zu trennen, außer diese ein Stück weit zu denken, umzusetzen und es einfach herauszufinden. Wenn Sie innovativ sein möchten, gehören Rückschläge ganz einfach zum Geschäft.
Dennoch sind ganze Unternehmen darauf ausgerichtet, Rückschläge und falsche Entscheidungen um jeden Preis zu vermeiden. Dahinter steckt „Pain Avoidance”. Lieber keinen Schritt setzen als einen vermeintlich falschen. Ich arbeitete in einem Unternehmen, in dem die gesamte Kultur derart stark danach trachtete, nur keine Fehler zuzulassen, dass jeder neuen Idee sofort ein erstickendes Korsett umgehängt wurde. Führungskräfte hielten auf Biegen und Brechen an Strategien und Methoden fest, obwohl diese nie Ergebnisse brachten. Junge Mitarbeiter bekamen keine ernsthafte Verantwortung übertragen - obwohl höchst motiviert und dafür eigentlich bestens ausgebildet. Dies führte natürlich zu Konflikten; allesamt kalt ausgetragen. Eine fruchtbare Diskussion, in der gute Ideen und Strategien weiterentwickelt werden konnten, war nicht möglich.
Das beste Beispiel für nicht gewährte Freiräume ist die grundlose Forderung nach Anwesenheit. Stellen Sie sich das vor: Ein ehemaliger Vertriebskollege von mir wurde trotz respektabler Umsätze und vielversprechender Neukontakte gekündigt, weil er selten vor neun Uhr ins Büro kam und mittags gerne ins Fitnessstudio ging; also nicht seine Arbeitszeit am Stück absitzen wollte und die sogenannte „Kernzeit” ständig verletzte, die um 8.30 Uhr begann. Zugegeben, es gibt Vertriebs- und Marketingbereiche, wo Anwesenheit einfach zum Job gehört (zum Beispiel Telemarketing und Service), aber bei qualifizierter Wissens- und Kontaktarbeit stehen die Dinge anders. Nur wenige Jobs lassen sich in zeitlicher und örtlicher Hinsicht so flexibel ausüben wie der kundenorientierte Vertrieb. Keine Performance ist so leicht messbar wie die von Sales Leuten: Umsätze, Ergebnisse, Anzahl der Neukontakte, Anzahl der Kundenbesuche usw. „Ja, aber was ist mit der Verfügbarkeit für Meetings?”, wenden Traditionalisten ein. Ein fadenscheiniges Argument. Erstens steht es jeder und jedem frei, eine Outlook-Einladung anzunehmen oder abzulehnen und bei Bedarf auch mal früher ins Büro zu kommen. Zweitens stehen uns mit Skype, Lync, Videotelefonie, Go-To-Meetings etc. ausgezeichnete Technologien zur Teilnahme aus der Ferne zur Verfügung (wenn Ihnen all diese Begriffe nichts sagen, dann sollten sie das nächste Kapitel aufmerksam lesen). Warum ist es also mancherorts noch immer wichtiger, dass ja jeder um acht Uhr an seinem Platz sitzt als dass das Ergebnis stimmt? Möglicherweise haben Unternehmer Angst davor, ausgenutzt zu werden. Dann haben Sie aber die falschen Menschen eingestellt. Der Idealtypus im Vertrieb leistet nicht, weil ich ihn in einem 40-Stunden-Korsett an seinen Schreibtisch fessle, sondern er leistet, gerade weil er Freiräume bekommt und nicht ständig kontrolliert wird.
Was hat das alles damit zu tun, „die Crowd zu rocken”? Ein System, in dem keine eigenen Entscheidungen, Rückschläge und Freiräume zugelassen sind, wird zum Biotop für lethargisches Verhalten. Sie züchten eine eine Abteilung von Verwaltern, in der Kunden schon selbst anrufen müssen, wenn sie was brauchen. Im Gegensatz dazu beflügelt und motiviert der Freiraum, sich seinen Arbeitsalltag selbst gestalten zu dürfen. Rückschläge zuzulassen bedeutet, Mitarbeiter zu ermutigen, selbst bei und mit Kunden aktiv zu werden. Das ist notwendig, um im Job gut zu werden. Ich selbst denke an tagelange Akquise-Touren zurück, die keine ernsthaft verfolgbaren Leads brachten. Ich sagte bei Kundenterminen die falschen Dinge zu Entscheidungsträgern und drückte bei Verhandlungen auf die falschen Knöpfe. Manchmal kam es deshalb nicht zum Geschäft oder die Interessentin meldete sich nicht mehr. All das ist frustrierend und tut manchmal weh. Aber es ist ein notwendiger Entwicklungsprozess. Begreifen Sie Rückschläge als Gelegenheiten, neue Dinge und Wege herauszufinden, die Ihnen mit konservativen Herangehensweisen verborgen geblieben wären (moderne Massenmedien helfen uns übrigens dabei leider nicht. Sie stilisieren erfolgreiche Unternehmer zu Übermenschen hoch und lenken die Aufmerksamkeit ausschließlich auf Erfolge. Wie oft Elon Musk bei Investoren abgeblitzt ist und vielleicht sogar ausgelacht wurde steht leider nicht in den Hochglanzmagazinen).
Es geht darum ein Klima zu schaffen, in dem Freiräume und Rückschläge okay sind. Lassen Sie Ihre Sales Leute beispielsweise Ihre Zielunternehmen selbst suchen anstatt sie vorzuschreiben. Spätestens beim dritten Termin wird eine mündige Mitarbeitern merken, dass in einer bestimmten Region oder in einer bestimmten Branche nichts zu holen ist und sie wird sich neu orientieren. Ermutigen Sie sie einfach mal drauf loszugehen und eine (anfangs vielleicht kleine) Abschlussverhandlung selbst zu führen. Lassen Sie sie gemeinsam mit Kunden Ideen aufgreifen und ein Stück weit mit entwickeln, wenn sie davon überzeugt ist. Eine Sales Managerin, der diese Freiheiten gegeben sind, wird Ihre Crowd finden und sie wird sie begeistern.
Nutzen Sie alle Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts
Die Vertriebs- und Marketingklaviatur hat sich mit der Verbreitung des Internets und mit digitalen Massenmedien enorm verbreitert. Selbstverständlich stehen Ihnen nach wie vor alle klassischen Methoden wie Kaltakquise, Flyer, Folder, Messen, etc. zur Verfügung. Damit können Sie damals wie heute großartige Stücke für Ihre Kunden spielen. David Sandler, ein amerikanischer Sales Professional schrieb in seinem Buch „The Sandler Rules: 49 Timeless Selling Principles and How to Apply Them” folgenden Satz: „You never have to like prospecting, you just have to do it”. Damit hat er auch heute noch Recht. Nach wie vor braucht ein Großteil aller Unternehmen solide direkte Kundenansprache durch Kaltakquise. Selbst in einer digital vernetzten Welt halte ich sie für das wichtigste und mächtigste Instrument für die meisten Unternehmen (Online- und Einzelhandel, Trading von Wertpapieren und Optionen sowie einige Nischen nehme ich aus). Direkter persönlicher Kontakt ist der einzige Weg zum Aufbau einer menschlich stabilen Beziehung, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert. Aber sollten Sie deshalb ignorieren, dass sich Ihr Orchester (oder Ihre Band) einer ganzen Reihe neuer Instrumente bedienen könnte? Ich hielte das für kurzsichtig.
Social Media und Digital Marketing Agenturen wachsen wie Pilze aus dem Boden. Aus gutem Grund. Wenn Sie ein Consumer Produkt bewerben möchten, erreichen Sie heute nur mehr schwer Menschen unter 25 Jahren ohne adäquate Online-Strategien. Ihr Immobilienangebot in der Lokalzeitung sollte eher für eine ältere Zielgruppe gedacht sein (aber selbst Senioren nutzen bereits digitale Kanäle zum Einkaufen, Vergleichen und zur Informationsbeschaffung). Jüngere suchen praktisch ausschließlich online nach Angeboten. Veranstaltungen verbreiten sich heute primär über Social Media. Falls überhaupt, unterstützen Flyer und Infofolder die Promotion nur mehr.
Die Generation Y rückt gerade in die Führungsetagen hoch und baut erfolgreich neue Unternehmen auf. Die nächste Generation an Entscheidungsträgern sind Digital Natives, also die erste Generation, die mit dem Computer aufgewachsen ist. Sie sieht immer weniger fern, sondern konsumiert Videos on Demand über Neflix, Amazon Prime und andere. Sie möchten diese Leute erreichen? Mit Fernsehwerbung, Kleinanzeigen und Flugblättern werden Sie wohl nicht mehr weit kommen (Sie kennen diese Aufkleber für den Postkasten: „Bitte keine Werbung”? Der klebt in meinem Haus an jedem Postkasten). Disruptive Geschäftsmodelle, die auf Breitbandvernetzung basieren und vor zehn Jahren völlig undenkbar waren, entstehen jeden Tag. Denken Sie an den Taxidienst Uber oder an AirBNB, einer Plattform zur Vermittlung von Unterkünften. Die ganze Welt spricht von Industry 4.0, Vernetzung und Digitalisierung, trotzdem gibt es noch unzählige Unternehmen, deren Homepages vernachlässigt daherkommen. Meine Generation kauft Ihnen nur ungern etwas ab, wenn Sie uns nicht mit Ihrem digitalen Auftritt überzeugen können.
Sie denken, das Alles ist für Sie nicht relevant, sondern mehr eine Sache für die großen Online-Unternehmen und die Marketing-Affinen? Ihnen selbst ist das alles einfach nicht so wichtig? Unternehmerischer Weitblick ist das aus meiner Sicht aber nicht. Ein Beispiel: Erst neulich bekam ich in meinem Facebook Newsfeed die Werbung einer kleinen Linzer Schuhmanufaktur eingeblendet. Dieser Drei-Mann-Betrieb stellt in Handarbeit edle Herrenschuhe her. Genau mein Ding. Diese Band spielt sozusagen genau meine Musik. Man erreichte mich treffsicher durch geschicktes Platzieren von Werbung in Social Media. Ich wusste vorher nicht einmal, dass es diesen Handwerker gibt. Was ich damit sagen will: Sie finden heute nicht mehr nur Größen wie Metallica online. Auch weniger bekannte, alternative Bands genauso wie höchstens lokal bekannte Garagenbands veröffentlichen ihre Titel online und rühren die Werbetrommel in sozialen Medien.
Zugegeben, die digitale Welt mag einschüchtern und Begriffe rund um Online Lead Generation, Search Engine Optimization, Inbound Marketing, getrackte Email-Newsletter, Social Media Community und Online Reputation Management mögen für Sie schwammig und neu sein. Vielleicht finden Sie diese Entwicklung auch schlecht oder sehen sie mit Skepsis. Das ändert nichts daran, dass diese Methoden und Werkzeuge Relevanz haben. Unternehmern sollte klar sein: Wer sich heute partout nicht mit der digitalen Welt beschäftigen will, wird sich im besten Fall morgen nur darüber wundern, warum Umsätze stagnieren und sich keine geeigneten Bewerber mehr melden. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden Sie relevante Trends in der eigenen Branche verpassen oder - im schlimmsten Fall - gar übersehen, dass Ihr eigenes Geschäftsmodell durch ein anderes obsolet gemacht wurde.
Arbeiten Sie mit eigenverantwortlichen Menschen
Wenn Sie meinen Beitrag bis hierher gelesen haben, bekommen Sie vielleicht schon einen Eindruck davon, welche Eigenschaften aus meiner Sicht bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Vertrieb wichtig sind. Bis hier ging es um die menschliche Komponente in der Kundensuche und Kundenbetreuung, darum, sich eine „passende Crowd” zu suchen und nicht ständig im Recht sein zu müssen. Ich behandelte die Sinnhaftigkeit von betrieblichen Aktivitäten, die Tatsache, dass Rückschläge im Grunde eine gute Sache sind und Sie im 21. Jahrhundert neue Möglichkeiten in der Kundenkommunikation haben, die Sie nutzen sollten. Letztlich steht und fällt Ihre Organisation aber mit den Menschen, die Sie bei sich beschäftigen. Abschließend also noch ein paar Gedanken zum Thema Verantwortung und wie Sie erkennen, dass Ihre Mitarbeiter diese übernehmen wollen.
Eigenverantwortliche Leute faseln nichts vom Markt daher, wenn sie mit einer bestimmten Firma nicht ins Geschäft kommen. Es kann hunderte Gründe dafür geben, warum eine Kundenbeziehung nicht entsteht, dazu gehören zum Beispiel Preis, Liefer- und Produktqualität, die handelnden Personen, geografische Entfernungen, Sprachbarrieren, Finanzierungen, etc. Wäre tatsächlich „der Markt” schuld daran, dass Sie keine lukrativen Geschäfte abschließen können, dann hat Ihr Unternehmen schon ein gravierenderes Problem und Sie sollten sich tunlichst nach neuen Geschäftsmöglichkeiten umsehen.
Verantwortungsvolle Mitarbeiter wissen, dass sie jetzt nicht „einfach mal Vertrieb machen” können, sondern bei einer beruflichen Umorientierung ein steiniger „learning-by-doing”-Weg vor ihnen liegt. Besonders in Funktionen, die zum Kunden hin ausgerichtet sind, ist der Erwerb von fachlicher Qualifikation und von Sales Skills unbedingt notwendig, um mit Kunden auf Augenhöhe sprechen und Ideen mit Ihnen entwickeln zu können. Professioneller Verkauf ist zudem ein psychologisches Skillset. Noch nie hat ein schwacher Verkäufer jemanden „gerockt”. Wichtig ist dabei nicht, von Anfang an das Handwerk zu können. Wichtig ist, das Handwerk können zu wollen (oder: “hire for attitude, skills can be taught”)!
Eigenverantwortliche Mitarbeiter versuchen die Probleme in ihrem Verantwortungsbereich zuerst selbst zu lösen und verlangen nicht nach Micromanagement. Es ist erstaunlich, welche Dinge alle zum Chef kommen in der Erwartung, dass der ihre Probleme löst. Beginnen Sie sich allerdings auf dieses Spiel einzulassen, werden weder Sie noch Ihre Mitarbeiter dadurch glücklicher. Solches Verhalten ist in zweierlei Hinsicht problematisch: Erstens, warum haben Sie überhaupt Leute eingestellt, wenn Sie deren Probleme erst recht alle selbst lösen müssen? Zweitens, meistens möchte sich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin durch solches Verhalten einfach in seiner oder ihrer Opferrolle bestätigt sehen. Sie möchten die Bestätigung, dass sie ja gar nicht in der Lage gewesen wären, das Problem ohne Chef zu lösen. Was die Situation noch schlimmer macht: Vorgesetzte, die sich auf dieses Spiel einlassen. Sie lösen nämlich die Probleme ihrer Mitarbeiter oft gar nicht, um in der Sache weiterzukommen, sondern um sich in der Rolle des Problemlösers selbst gut zu fühlen und bestätigt zu sehen. Führungskräfte, die diese Bestätigung brauchen, sollten sich einen Hund zulegen. Verantwortungsvolle Führungsarbeit mit eigenverantwortlichen Mitarbeitern sieht anders aus - oder kennen Sie eine Band, dessen Manager gleichzeitig auch der Leadsinger ist und alle Gitarren-, Schlagzeug- und Basssoli selbst spielt?